Eros - Philos - Agape: die drei Facetten der Liebe in der Sexualbegleitung
Sexualbegleitung ist viel mehr als "nur" Sex
Eros: Die sinnliche und begehrende Liebe
Eros ist wohl die bekannteste der drei Facetten und diejenige, die Menschen am häufigsten mit Sexualität verbinden. Es handelt sich um die leidenschaftliche, körperliche Liebe, die vom Begehren und der erotischen Anziehung geprägt ist. Eros ist jedoch mehr als reine Sexualität – er steht für die Kraft des Lebens und die Verbindung zu unserem Körper. In meiner Sexualbegleitung tritt Eros deshalb in vielfältiger Weise in Erscheinung.
Für viele Klientinnen bedeutet Eros die Möglichkeit, sich selbst als sinnliches Wesen zu erfahren. Dies ist oft keine Selbstverständlichkeit: Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen oder solche, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, erleben im Alltag häufig eine Abwertung oder gar Unsichtbarkeit ihrer Sexualität. Die Sexualbegleitung kann hier einen Raum schaffen, in dem Eros nicht nur erlaubt, sondern gefeiert wird.
Eros in der Sexualbegleitung ist jedoch nicht nur körperlich. Er zeigt sich auch in der ästhetischen Inszenierung, der Achtsamkeit und der gegenseitigen Offenheit. Die Berührung, der Blick, das Spiel mit Nähe und Distanz – all das sind Ausdrucksformen des Eros, die über die reine körperliche Ebene hinausgehen.
Dabei ist es wichtig, Eros nicht mit bloßer Triebhaftigkeit zu verwechseln. In der Sexualbegleitung ist Eros eine bewusst gestaltete Energie, die im Dienst des Klienten steht. Es geht darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der der Klient sich sicher und frei fühlen kann, seine eigene Sinnlichkeit zu entdecken.
Die Herausforderung in meiner Sexualbegleitung besteht darin, Eros bewusst und verantwortungsvoll zu gestalten. Hierbei geht es nicht um die schlichte Befriedigung von Bedürfnissen, sondern um die Wertschätzung des Körpers als Medium für Genuss, Heilung und Selbstentfaltung. Viele Klientinnen, besonders solche mit körperlichen Einschränkungen oder traumatischen Erfahrungen, erleben Eros in der Sexualbegleitung möglicherweise zum ersten Mal als etwas Positives und Befreiendes. Meine Aufgabe als Sexualbegleiter ist es, diesen Raum zu halten und eine sichere Atmosphäre für sinnliche Exploration zu schaffen.

Philos: Die freundschaftliche und mitfühlende Liebe
Philos, die zweite Dimension der Liebe, beschreibt eine eher freundschaftliche, wohlwollende Verbindung. Sie basiert auf Respekt, Vertrauen und einer tiefen menschlichen Wertschätzung. In der Sexualbegleitung ist Philos von zentraler Bedeutung, denn ohne eine echte Verbindung auf Augenhöhe ist es kaum möglich, einen Raum für Intimität zu schaffen, die weit über den körperlichen Kontakt hinausgeht.
Philos zeigt sich in der Art und Weise, wie ich als Sexualbegleiter auf meine Klientinnen eingehe. Es beginnt bei der Begrüßung, bei der Frage, wie es dem Gegenüber geht, und setzt sich in der gesamten Begegnung fort. Hier wird deutlich, dass Sexualbegleitung nicht nur ein körperlicher, sondern auch ein emotionaler und geistiger Prozess ist.
Für viele Klientinnen ist Sexualbegleitung ein Akt der Intimität, der nicht allein auf körperlicher, sondern auch auf emotionaler Ebene stattfindet. Durch Philos kann ich eine empathische und aufrichtige Beziehung entwickeln, die die Klientinnen erleben läßt, gesehen und akzeptiert zu werden. Diese Verbindung ermöglicht es, Schamgefühle abzubauen und die emotionale Nähe zu fördern, die oft genauso heilsam ist wie die körperliche Berührung.
Viele Klientinnen kommen mit einem großen Bedürfnis nach echter menschlicher Nähe. Dies kann sich in Gesprächen äußern, in einer einfühlsamen Berührung oder einfach im gemeinsamen Schweigen. Philos bedeutet, diesen Raum zu halten und der Klientin das Gefühl zu geben, dass sie in ihrer Ganzheit gesehen wird – mit all ihren Wünschen, Ängsten und Hoffnungen.
In der Sexualbegleitung ist Philos nicht zuletzt ein Ausdruck von Professionalität. Es ist die Fähigkeit, die Bedürfnisse des Klienten zu achten, ohne dabei die eigenen Grenzen aus den Augen zu verlieren. Diese Balance zwischen Nähe und Distanz erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion und Empathie.
Agape: Die bedingungslose und hingebungsvolle Liebe
Die dritte Dimension, Agape, wird oft als die altruistischste Form der Liebe beschrieben. Sie ist bedingungslos, selbstlos und universell. In meiner Sexualbegleitung zeigt sich Agape in der tiefen Hingabe an den Moment und in der Bereitschaft, die Klientin mit all ihren Facetten anzunehmen.
Agape ist die Liebe, die nichts fordert, sondern einfach da ist. Sie äußert sich in der Fähigkeit, präsent zu sein, ohne zu bewerten, und in der Offenheit, der Klientin zu erlauben, sich vollständig zu zeigen – sei es in ihrer Verletzlichkeit, ihrer Sehnsucht oder ihrer Freude, und ihren Wünschen mit Offenheit, Mitgefühl und einem tiefen Respekt zu begegnen.
Besonders bei Menschen, die lange Zeit keine körperliche oder emotionale Nähe erfahren haben, kann Agape eine transformative Wirkung haben. Sie vermittelt das Gefühl, dass Liebe und Zuwendung nicht verdient werden müssen, sondern jedem Menschen von Natur aus zustehen.
Agape fordert von SexualbegleiterInnen eine Balance zwischen Nähe und Distanz. Sie erfordert, die eigenen Grenzen zu kennen und gleichzeitig großzügig mit meiner eigenen Energie umzugehen. Diese Form der Liebe ermöglicht es, die Sexualbegleitung als Dienst am Menschen zu verstehen, bei dem das Hauptziel nicht die eigene Bereicherung, sondern die Förderung von Wohlbefinden, Selbstakzeptanz und Lebensfreude der Klientinnen ist.
Für mich als Sexualbegleiter bedeutet Agape, mich selbst immer wieder daran zu erinnern, dass meine Arbeit einem höheren Zweck dient: nämlich dem Wohl und der Heilung der Klientin. Diese Form der Liebe ist nicht egozentrisch, sondern richtet sich auf das gemeinsame Erlebnis und die Möglichkeit, die Klientin in ihrem Menschsein zu bestärken.
Die Balance zwischen den Facetten
Die drei Facetten der Liebe – Eros, Philos und Agape – stehen in der Sexualbegleitung nicht isoliert nebeneinander, sondern greifen ineinander wie die Farben eines Regenbogens. Die Herausforderung und die Kunst der Sexualbegleitung liegen darin, diese Dimensionen in Einklang zu bringen. Eine erfüllende Begleitung erfordert ein Gleichgewicht dieser drei Aspekte:
Eros bringt Leidenschaft und Lebendigkeit in die Begegnung.
Philos schafft die emotionale Basis von Vertrauen und Verbindung.
Agape sorgt dafür, dass die Arbeit respektvoll, achtsam und dienend bleibt.
Eine Begegnung kann zum Beispiel mit einem intensiven Gespräch beginnen (Philos), sich in einem sinnlichen Erlebnis entfalten (Eros) und schließlich in einem Moment tiefer Hingabe und Verbindung münden, wenn sich die Seele nach gutem Sex öffnet und meine Klientinnen mit mir etwas von sich teilen, das sie sonst niemandem erzählen wollen (Agape).
Dieses Zusammenspiel ermöglicht eine ganzheitliche Begegnung, die nicht nur den Körper, sondern auch Geist und Seele anspricht. Sexualbegleitung wird so zu einem Raum, in dem meine Klientinnen sich in ihrer Ganzheit gesehen fühlen und Heilung, Selbstannahme und Freude erfahren können. Dies erfordert nicht nur technisches Wissen und professionelle Fähigkeiten, sondern auch ein hohes Maß an Selbstkenntnis und innerer Klarheit. Denn nur wenn ich mit den eigenen Facetten der Liebe im Reinen bin, kann ich anderen dabei helfen, diese in sich selbst zu entdecken.
Fazit: Liebe als Ganzheit erleben
Meine Arbeit als Sexualbegleiter ist weit mehr als eine sexuelle Dienstleistung. Sie ist eine Praxis, in der die Vielfalt und Tiefe der menschlichen Liebe zum Ausdruck kommt. Eros, Philos und Agape sind dabei keine Gegensätze, sondern ergänzen sich zu einer ganzheitlichen Erfahrung, die sowohl für den Klienten als auch für den Begleiter bereichernd sein kann.
Indem ich mich diesen drei Facetten der Liebe bewusst öffne, schaffe ich Räume, in denen Heilung, Wachstum und tiefe menschliche Begegnung möglich werden. So wird die Sexualbegleitung zu einem Ort, an dem die Liebe in all ihren Formen gefeiert wird – und an dem jeder Mensch, unabhängig von seinen äußeren Umständen, erfahren darf, dass er liebenswert ist.
Die Apotheken Umschau hat ein Interview mit mir veröffentlicht unter dem Titel: „Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht“: Einblicke in die Arbeit eines Sexualbegleiters zum Interview
alle Fotos dieses Beitrages sind von Sabrina Scheffer
mein Jahresrückblick 2024





